Nächtliche Gedanken zur Nationalhymne

Mitunter kommt es vor, dass ich erst nach Mitternacht nach Hause komme. Wenn ich in solchen Fällen mit dem Auto unterwegs bin, schalte ich immer einige Minuten vor Mitternacht den Deutschlandfunk ein und höre die Nationalhymne, die dort jeden Tag um diese Zeit gespielt wird. Ich stehe dazu: Ich finde die deutsche Hymne sehr schön, gerade dann, wenn sie in einer reinen Instrumentalversion, also ohne Gesang, nur von einem Streicherquartett gespielt wird. Es gibt nichts schöneres, als in der Dunkelheit in gemäßigtem Tempo über eine leere Landstraße zu fahren und dieser ruhigen, eleganten Musik zuzuhören.

Ich erinnere mich noch sehr an eine Wahlkampfveranstaltung vor einigen Jahren, auf der zum Ende aus der Konserve eine entsetzliche Marschmusik-Version gespielt wurde. Das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land ist ja in den meisten Fällen kein unbelastetes, aber wenn es einen deutschen Nationalismus oder Patriotismus geben könnte, der so zurückhaltend angenehm ist wie diese Hymne in der Deutschlandfunk-Variante, dann hätte ich nichts dagegen.

Seit einiger Zeit kommt direkt nach der Haydnschen Hymne die Europahymne, die Ode an die Freude aus Beethovens 9. Sinfonie. Schöne Musik, zweifellos, aber irgendwie wird es, zumindest für mich, nie dasselbe sein wie die deutsche Nationalhymne. Ich bin nicht sonderlich deutschtümelnd-nationalistisch eingestellt, und ich weiß die Vorteile der Europäischen Union durchaus zu schätzen. Aber ich finde schon den Gedanken einer europäischen Hymne anmaßend. Ich glaube, es würde Europa und der EU sehr gut tun, wenn seine Politiker endlich damit aufhören würden, andauernd den Eindruck zu verbreiten, die Einigung Europas sei so etwas wie ein göttlicher Auftrag. Sie ist ein unterstützenswertes politisches Projekt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wenn man schnell genug vom Deutschlandfunk auf R.SH umschaltet, erwischt man das Schleswig-Holstein-Lied, das dort immer um Mitternacht gespielt wird, als einzige der drei Hymnen mit Text übrigens:

Schleswig-Holstein, meerumschlungen,
deutscher Sitte hohe Wacht,
wahre treu, was schwer errungen,
bis ein schönrer Morgen tagt!
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
wanke nicht, mein Vaterland
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
wanke nicht, mein Vaterland!

Was ich davon denken soll, weiß ich nie so richtig. Der Text ist schon sehr altbacken und irgendwie auch ziemlich arrogant. Wahrscheinlich sollte ich in Zukunft einfach direkt nach dem Deutschlandlied abschalten und die nächtliche Fahrt genießen.

veröffentlicht am 23. August 2008 um 0.29 Uhr
in Kategorie: In der Welt, Journal

2 Kommentare »

  1. Das ist aber ein unfairer Vergleich – elegante Melodie gegen tumben, heimatbesoffenen Text.

    ” Deutsche Frauen, deutsche Treue,
    Deutscher Wein und deutscher Sang
    Sollen in der Welt behalten
    Ihren alten schönen Klang,
    Uns zu edler Tat begeistern
    Unser ganzes Leben lang –
    |: Deutsche Frauen, deutsche Treue,
    Deutscher Wein und deutscher Sang! 😐 ”

    Ist auch nicht so der Hit, oder?

    Comment by niels — 24. August 2008 @ 17:29

  2. Die von Dir zitierte 2. Strophe des Deutschlandliedes ist aber nicht (mehr) Teil der Hymne.

    Ansonsten aber: Richtig, ist “auch nicht so der Hit”. Es wäre mal interessant, warum DLF eigentlich “nur” die Melodie des Deutschlandliedes spielt. Aber mir soll’s gleich sein.

    Comment by tapastalatukat — 25. August 2008 @ 11:54

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